· 2013

Humanitäre Hilfe ersetzt nicht Politik

Foto: I. Malla/IKRK

Rotes Kreuz wegen strikter Neutralität bei Konfliktparteien akzeptiert / 7,5 Kilo Lebensmittel pro Familie

Zu einem Bericht über die Arbeit des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Syrien war in der vergangenen Woche der Leiter der Internationalen Zusammenarbeit beim DRK, Christof Johnen, nach Bremen gekommen. Johnen beschrieb eindringlich die auch unter höchsten persönlichen Risiken von den Helfern des Syrischen Roten Halbmonds geleistete Arbeit. Zu der Veranstaltung über Hintergründe und Perspektiven des Syrienkonflikts hatte in der vergangenen Woche Till Markus, der Landeskonventionsbeauftragte des DRK im Land Bremen eingeladen. Im Roten Kreuz ist es die Aufgabe des promovierten Juristen für die Verbreitung der sieben Rotkreuz-Grundsätze zu sorgen. Die beiden Referenten des Abends, Steffen Kommer (Zentrum für Europäische Rechtspolitik, Uni Bremen) und Christof Johnen (Leiter Internationale Zusammenarbeit beim DRK-Generalsekretariat, Berlin), bestätigten, dass immer dann, wenn schnelle Humanitäre Hilfe gefragt ist, insbesondere die strikte Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der weltweit tätigen Rotkreuz-/Rothalbmond-Gesellschaften ein bedeutsames Element der Arbeit in Krisengebieten sei. Die besondere Problematik von innerstaatlichen bewaffneten Konflikten, wie dem in Syrien, beleuchtete der Bremer Jurist Steffen Kommer zunächst aus Sicht des Internationalen Völkerrechts. Als Staat sei Syrien Vertragspartei des UN Zivilpakts, also grundsätzlich an das Humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte gebunden. Anders sehe das für die Aufständischen aus, so Kommer, weil eben nur Staaten als so genannte Völkerrechtssubjekte gelten. Hinzu komme, dass eine verantwortliche Führung und Kommandostruktur schwer auszumachen ist. Christof Johnen ergänzte dies in seinem Referat später: „Vor nicht einmal drei Monaten hat die UN versucht, die gern als ‚Opposition’ pauschal zusammengefassten religiösen und politischen Gruppierungen zu erfassen. Bei 300 hat man aufgegeben…“. Daraus ergeben sich für die Durchsetzung der in der UN Charta festgeschriebenen Pflicht zur friedliche Streitbeilegungen erhebliche Probleme. Selbst die Einhaltung der grundlegenden Regeln des Völkerrechts für bewaffnete Konflikte, wie der Schutz von Zivilisten und zivilen Objekten, das Verbot unterschiedsloser Angriffe (nur militärische Ziele) und das Verbot exzessiver Kollateralschäden (Einsatz so genannter Massenvernichtungswaffen) lässt sich offenkundig durch den UN-Sicherheitsrat nicht durchsetzen, solange in dem Gremium Eigeninteressen der Mitglieder das Handeln bestimmen. Ein deutliches Beispiel für die scheinbar unentwirrbare Lage sei das Ergebnis der Untersuchung des erwiesenen Giftgaseinsatzes in der Nähe von Damaskus im August 2013. Wer diesen Bruch des Völkerrechts veranlasst und durchgeführt habe, konnten selbst die Chemiewaffenkontrolleure der OPCW (Friedensnobelpreis für ihren Einsatz in Syrien) nicht hinreichend klären. Um in derart unübersichtlichen „Gemengelagen“ die notleidende Zivilbevölkerung mit Hilfsgütern unterstützen zu können, bedarf es eines wohlüberlegten und mit viel Krisenhilfe-Erfahrung ausgestatten Vorgehens. Das zeigt sich erneut am Beispiel Syriens: Als nationale Organisation, ausgestattet mit der weltweiten Anerkennung des Emblems und des Mandats der Rotkreuz / Rothalbmondbewegung, versorgt der Syrisch Arabische Rote Halbmond (SARC) die betroffene Zivilbevölkerung ohne Ansehen von Religion, sozialer Stellung oder politischer Überzeugung mit den dringendst benötigten Hilfsgütern. Das sind, sowohl in den Flüchtlingscamps als auch in sechs permanenten und 16 mobilen Kliniken sowie mindestens 15 temporären Gesundheitsposten medizinisches Gerät, Medikamente, Zelte, Matratzen und Decken. Nach Schätzung von Christof Johnen benötigen derzeit mehr als neun der insgesamt etwa 21 Millionen Syrer Humanitäre Hilfe. Insbesondere die rund 6,5 Millionen Flüchtlinge, die teils mehrfach innerhalb Syriens vertrieben wurden, sind auf die so genannten „Familien-Pakete“ (Grundnahrungsmittel) sowie die Hygiene-, Baby- und Küchen-Sets mit dem Rotkreuz-Logo angewiesen. „Die Familien-Pakete wiegen tragbare 7,5 Kilogramm und enthalten regionaltypische Lebensmittel, die einer fünfköpfigen Familie einen Monat lang das Überleben sichern“, berichtete der Koordinator der internationalen Soforthilfen des DRK. Mit den Paketen zeige sich auch ein Wandel in der Soforthilfe, der vor einigen Jahren eingesetzt habe. Laut Christof Johnen sei die Zeit vorbei, in der man Massen von Lebensmitteln von Europa in Soforthilfe-Regionen geflogen habe vorbei. „Stattdessen kaufen wir in Nachbarländern die in der Region typischen Lebensmittel, wie etwa Kichererbsen und Reis, und packen die Pakete dann vor Ort, so dass sie auf dem Landweg nach Syrien gebracht werden können“, berichtete Johnen. Gleiches gilt auch für die Katastrophen-Helfer: „Wir schicken keine ‚Hundertschaften’ mehr in internationale Krisenherde. Wichtiger ist es in den vergangenen Jahren geworden, unsere nationalen Schwestergesellschaften organisatorisch zu stärken“. So sind derzeit deutlich weniger als ein Dutzend erfahrene Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes im Libanon (Back-Office) und in Syrien tätig. Sie unterstützen die Helfer des Syrisch Arabischen Roten Halbmonds administrativ und mit ihrem Know-how. Man müsse sich das so vorstellen: der SARC hat finanzielle Soforthilfe von der EU, Deutschland und Norwegen erhalten. Um das Geld in Humanitäre Hilfe zu verwandeln sind Mittel-Beantragungen, Verwendungsnachweise und Abrechnungen zu erstellen. Und das mit drei unterschiedlichen Formularsätzen (EU, Deutschland, Norwegen). „Dafür haben unsere syrischen Kollegen überhaupt nicht die Zeit!“, betonte Johnen. Diese Arbeit werde deshalb von deutschen Rotkreuzlern im „Back-Office“ im Libanon erledigt. Gleiches gelte für die Organisation der Hilfsgütertransporte. „Wenn Sie einen Konvoi etwa von Damaskus nach Homs schicken wollen, müssen Sie manchmal 30 und mehr Checkpoints der verschiedenen Gruppierungen passieren“, beschreibt Johnen die Aufgabe für eine Strecke von nicht einmal 170 Kilometern. Bei allen Gruppierungen und Checkpoints müsse der Konvoi angemeldet und die Durchfahrtgenehmigung eingeholt werden. „Ansonsten kann es Ihnen passieren, dass Sie nach 30 Kilometern wieder umdrehen müssen“. Hier zeige sich das Problem der zunehmenden Zersplitterung territorialer Hoheiten in Syrien besonders drastisch, so Johnen: „Man geht inzwischen von mehreren hundert religiösen und politischen Interessengruppen aus, geeint lediglich in ihrer Ablehnung des Assad-Regimes“. Das mache die politische Lage nicht nur unübersichtlich, es erschwere auch die Humanitäre Hilfe der vor Ort tätigen Hilfsorganisationen ganz erheblich. Eine politische, friedliche Streitbeilegung erscheint allerdings in immer weitere Ferne gerückt. Dabei ist die Lage der Zivilbevölkerung, vor allem die der Flüchtlinge in den behelfsmäßigen Camps, mit dem jetzt eingesetzten Winter, mit ungewöhnlich heftigen Schneefällen, immer dramatischer geworden. Der erfahrene Katastrophenhelfer Christof Johnen mahnte deshalb: „Humanitäre Hilfe ist kein Ersatz für Politik!“ Spenden für die DRK-Syrienhilfe sind jederzeit möglich auf Konto Nummer 414141 bei der Bank für Sozialwirtschaft (BLZ 370 205 00). Stichwort: Syrien. Aktuelle Informationen zur Lage in Syrien finden Sie auf Opens external link in new windowdrk.de.